Manchmal reicht ein Blick – und ich bin mitten im Denken.
Wenn ich unterwegs bin, wandert mein Blick wie von selbst zu den Gesichtern der Menschen. Nicht aus Neugier, sondern aus tiefem Interesse: Was erzählt dieses Gesicht? Welche Prägungen, welche Erfahrungen, welche Geschichten könnte es in sich tragen?
Während meiner letzten Reise in den Oman habe ich mir erlaubt, noch genauer hinzuschauen – nicht nur auf das einzelne Gesicht, sondern auch auf mögliche kulturelle Gemeinsamkeiten. Dieser Beitrag ist das Ergebnis meiner stillen Studien und Beobachtungen – mit ganz viel Respekt und der Einladung, das Gesichtlesen auch im kulturellen Kontext noch einmal neu zu entdecken.
Was mir der Oman über das Gesichtlesen beigebracht hat
Wenn das Gesicht auf Reisen geht
Vor wenigen Tagen bin ich von einer Reise in den Oman zurückgekehrt – und wie das oft so ist: Dinge, die man liebt, lässt man nicht einfach zu Hause. So ist auch das Gesichtlesen mit mir gereist. Ich hatte das große Glück, abseits der Touristenpfade unterwegs zu sein und dabei authentische Einblicke in das Leben der Omanis zu bekommen – und in ihre Gesichter.
Können wir alle Gesichter gleich lesen?
Das bringt mich zu einer oft gestellten Frage: Können wir Gesichter unterschiedlicher Ethnien gleich gut lesen? In der Mikromimik spricht man davon, dass wir zuerst die „Baseline“ eines Menschen kennen müssen – also seinen natürlichen, entspannten Gesichtsausdruck und seine Mimik-Gewohnheiten. Nur dann können wir emotionale Ausschläge richtig deuten. Gleiches gilt für das Gesichtlesen: Auch hier brauchen wir eine ethnologische Baseline. Solange wir kein Gespür für die Vielfalt innerhalb einer Ethnie entwickelt haben, ist ein fundiertes Lesen nicht möglich. Erst wenn wir gelernt haben, Unterschiede zu erkennen – meist durch längeren Aufenthalt oder intensive Beschäftigung – können wir zuverlässig lesen.
Was Vergleich wirklich bedeutet
Wenn wir irgendwann an dem Punkt sind, an dem wir sagen: „Nicht alle Asiaten haben kleine Augen“, beginnt die differenzierte Wahrnehmung. Ich erinnere mich an eine philippinische Insel – noch wenig touristisch – auf der wir plötzlich die Spitznamen „Langnase“ bekamen. Nicht weil unsere Nasen riesig wären, sondern weil sie im Vergleich eben deutlich auffielen. Bei dunkelhäutigen Menschen fällt zum Beispiel verglichen mit Europäern auf: tendenziell breitere Nasenflügel und vollere Lippen. Das ist kein zu lesendes Merkmal oder schlimmstenfalls „ein Urteil“, sondern Teil der ethnologischen Baseline.
Wo Vergleich wenig Sinn ergibt
Wichtig ist: Die Baseline sollte dort aufgebaut werden, wo man viele Menschen derselben Ethnie in unterschiedlichen Lebensmodellen beobachten kann. Wenn ich in Thailand nur australische Backpacker beobachte, lerne ich nichts über Australier an sich – sondern nur über eine bestimmte Subgruppe der Australier. Ähnlich wenig hilfreich sind Vergleiche unter Spitzensportlern oder Politikern: Lebensstil verzerrt den Blick auf ethnische Besonderheiten.
Meine Beobachtungen im Gesichtlesen vor Ort
Wenn mir im Oman ein bestimmtes Gesichtsmerkmal besonders aufgefallen ist, habe ich begonnen, genauer hinzusehen – auf Märkten, am Flughafen, in Restaurants. Ich habe geschaut, ob dieses Merkmal häufiger vorkommt – ob es also ethnologisch bedingt ist – oder ob die Vielfalt der Ausprägungen des jeweiligen Bereiches eher von individuellen Merkmalen erzählt. Und tatsächlich: Die Baseline unterscheidet sich kaum zu der europäischen. Haut- und Augenfarbe spielen im Gesichtlesen ohnehin keine Rolle. Wo ich allerdings noch zurückhaltend bin, ist beim Lesen der Haarstruktur – da habe ich die Vermutung, dass sie grundsätzlich fester, dicker und gröber ist als bei vielen Europäern. Also lasse ich das Haar außen vor und konzentriere mich eher auf Gesichtsformen und andere physiognomische Merkmale.
Sommersprossen oder Muttermale – eine feine Unterscheidung
Ein spannender Moment war die Frage, ob es sich bei einer Person um Sommersprossen oder Muttermale handelt. Die Farbe war ähnlich der von Muttermalen – deutlich dunkler als bei einem hellhäutigen, rothaarigen Typen. Aber durch die Anordnung, die Größe und die Häufung der kleinen Punkte kamen wir zu dem Schluss: Das sind Sommersprossen. Die Muttermale im Gesicht desselben Menschen sahen dann doch anders aus.
Gesichtsformen und Mentalitäten: der König in der Schweiz
Was ich durch meinen Umzug in die Schweiz gelernt habe: Die Gesichtsform des Königs tritt dort deutlich seltener auf als in Deutschland – zumindest in meiner bewussten Beobachtung. Die Schweizer sind nicht unbedingt für Kampfgeist, Konfrontation oder Siegeswillen bekannt – eher für Neutralität und eine freundliche Distanziertheit. Das passt nicht zu den Persönlichkeitsaspekten des Königsgesichts. Wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen, wird schnell klar: Die Schweiz war seit Jahrhunderten nicht mehr in einen Krieg verwickelt. Der „Kampf“ ist womöglich gar nicht so stark in der kollektiven Epigenetik verankert wie etwa in Deutschland. Ein möglicher Grund dafür, dass die Gesichtsform des Königs in der Schweiz seltener zu finden ist.
Der Mond im Osten: Gemeinschaft statt Wettbewerb
Auch in Asien fällt ein Muster auf: Dort sehen wir sehr viel häufiger Mondgesichter. Das spiegelt sich vielleicht in der Mentalität wider – eher gemeinschaftsorientiert, kollektiv ausgerichtet und weniger individualistisch als im Westen. Der Wettbewerbsgedanke ist dort (noch) nicht so ausgeprägt – Persönlichkeitsmerkmale, die der Gesichtsform des Mondes zugeschrieben werden. Könige und Bäume hingegen sehen wir seltener in Asien. Es lohnt sich also, bei Häufungen bestimmter Gesichtsformen darüber nachzudenken, ob sich darin Hinweise auf kulturelle Prägungen oder kollektive Mentalitäten finden lassen.
Mit Feingefühl statt Schublade
Und bei allem, was wir beobachten: Bitte bewahre dir den liebevollen Blick und hüte dich vor Schubladendenken. Achtsames Beobachten und einfühlsames Deuten – ja. Aber Menschen auf Nationalitäten oder Merkmale zu reduzieren – nein. Das gehört in eine Vergangenheit, aus der wir hoffentlich gelernt haben und die sich niemals mehr wiederholen darf.
Gesichtlesen verbindet
Was mich an der Kunst des Gesichtlesens immer wieder fasziniert, ist genau das: sie verbindet. Nicht nur den Menschen mit sich selbst – sondern auch uns alle miteinander.
Und ja, vielleicht spiegelt sich in einem Gesicht manchmal auch ein Stück Geschichte, Mentalität oder Herkunft. Aber entscheidend bleibt immer der einzelne Mensch.
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Denn Gesichter sind universell – und zugleich so einzigartig wie du.