Ego, Mitgefühl und Demut
Während der letzten Wochen hat sich immer wieder mein Ego gemeldet. Und wie sollte es anders sein: jedes Mal zu den unpassendsten Augenblicken! Augenblicke, in denen ich mein Ego anmeckere: Ey! Hör auf, uns in den Vordergrund spielen zu wollen!
Was ist passiert – und wie konnten mich die Diskussionen mit meinem Ego zu mehr Mitgefühl und Demut führen?
Eine Begegnung mit dem eigenen Ego
Das Facereading hatte für mich von Beginn an eine magische Anziehung. Ich habe schnell gefühlt, welche Kraft und Magie hinter den alten Lehren und dem eigentlichen Praktizieren steckt. Mit einem Blick ins Gesicht kann ich eben nicht nur Talente, Potentiale, Arbeitsstile, Kommunikationsarten oder Entwicklungsfelder erfassen, sondern auch eigene Schatten, tiefgreifende Erlebnisse sowie intensiv gelebte Emotionen auf dem Lebensweg erkennen. Ich gehe noch einen Schritt weiter: mein Gegenüber ist sich womöglich nicht bewusst, dass ich das kann und dass intensive, herausfordernde und prägende Lebensabschnitte im Gesicht zu sehen sind. Umso mehr hat mich die Begegnung mit meinem eigenen Ego durchgeschüttelt.
Das Verstehen
Vor einigen Wochen habe ich mich mit einer wundervollen Bekannten unterhalten, die ich seit längerer Zeit kenne und schon ein paar Jahre nicht mehr gesehen hatte. Während unseres Gesprächs bemerke ich, dass sie Zeichen von Trauer und einer verlorenen Liebe trägt. Während sich mein Mitgefühl gerade bemerkbar macht, poltert mein Ego rein und ruft: „Klasse! Das haben wir punktgenau erkannt! Und nun los, jetzt finde für uns heraus, ob es stimmt!“ Meine Bekannte muss bemerkt haben, dass ich Irritation im Gesicht hatte, denn sie stockte im Gespräch. Ich sagte ihr, dass ich dank ihr etwas über mich erkannt habe und bat sie weiterzusprechen.
Ein paar Tage später gehe ich durch den Supermarkt und sehe einen älteren Herrn. Er hat ein lehrbuchartiges Kübelgesicht mit den herrlichsten Tagträumeraugen. Zwei Merkmale, die mich immer wieder faszinieren. Wir begegnen uns am Gemüsestand und ich fasse mir ein Herz: „Verzeihen Sie, ich komme nicht umher Ihnen zu sagen, dass Sie ein faszinierendes Gesicht haben und sich dieses mit Picasso teilen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer Ihre Visionen leben können!“ Er schaut mich an, lächelt überrascht und erwidert: „Ich bin Künstler, nicht so herausragend wie Picasso, aber Künstler. Danke für Ihre netten Worte.“ Ich schwebe ohne Gemüse aus dem Laden, Demut kommt auf und zack poltert es: „YAY! Ha, gut gemacht. Richtig erkannt! So etwas hat er sicherlich noch nicht gehört.“ Ich sitze daraufhin etwas fassungslos im Auto, denn mein schönes Gefühl der Demut und Dankbarkeit weicht der Irritation und Wut. Ego, Dich brauche ich gerade gar nicht! Wie kann es sein, dass ich das Facereading mit so viel Herz und Leidenschaft ausübe und mein Ego sich in den Vordergrund drängt? Schließen sich Ego und Herz nicht aus? Müsste mein Blick ins Gesicht der anderen nicht eigentlich selbstlos sein? Ich komme zuhause an und bemerke, dass ich ohne Einkauf zurück bin. Dafür habe ich etwas über das Facereading und mich erkannt.
Liebes Ego,…
… ich habe mich für den Weg des Facereadings entschieden und möchte, dass wir uns nicht über andere erheben, denn auch in unserem Gesicht steht unsere Geschichte! Ich möchte behutsam und nicht erfolgsstrebend sein! Ich möchte bei jedem Blick bedingungslos liebend sein und nicht nach Anerkennung lechzen. Ich möchte Mitgefühl und Demut spüren und mich nicht dabei von Dir unterbrechen lassen, liebes Ego. Wir haben einen fantastischen Weg eingeschlagen, darüber können wir jubeln. Dass wir das Wissen haben und Menschen in unserer Umgebung sind, die uns einen Blick ins Gesicht erlauben, ist nicht allein unser eigener Verdienst. Er hängt maßgeblich von anderen ab. Liebes Ego, Du darfst jubeln! Du darfst sagen HA, ich hab‘s gewusst! Im Mittelpunkt unserer Facereadings stehen jedoch nicht wir, sondern das Gesicht unseres Gegenübers. Und das gilt umso mehr, wenn wir ungefragte Einblicke einfangen!
Mich begleitet mein Ego weiterhin – das wird wohl auch so bleiben. Ich muss es jedoch seltener zurechtweisen, weil ich ihm Aufmerksamkeit geschenkt und mich bewusst entschieden habe, andere in den Mittelpunkt meines Tuns zu stellen.
Gastautorin
Der Beitrag wurde von Jenia Rosentreter verfasst.
Als ehemaliger Offizier und Führungskraft begleitet Jenia heute Menschen in ihr eigenes Licht und ist im Einblickgesicht-Team als Gesichtleserin tätig.
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